Ich möchte dich hin und wieder mit in meinen Garten nehmen. Dieser Ort hat mir auch ein Stück gezeigt, was Achtsamkeit bedeuten kann. Vielleicht ist das ja auch etwas für dich?
Ein großer Garten – und dann auch noch mit dem Anspruch, sich teilweise selbst zu versorgen? Für viele passt das nicht in unsere schnelle, leistungsorientierte Gesellschaft. Ein kleines Grundstück, gerade groß genug für eine kleine Rasenfläche, Terrasse und ein paar Beete, das scheint der Standard zu sein. Mehr ist bei der ganzen Arbeit ja auch oft nicht zu schaffen.
Bitte nicht falsch verstehen – ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn jemand sich für diese Gartenform entscheidet und sich darin wohlfühlt, oder auch wenn jemand überhaupt nichts dafür übrig hat und ganz auf einen Garten verzichtet. Für mich war das jedoch nie das, was ich mir unter meinem Traumgarten vorstellte.
Ich ließ mich früher von dieser Vorstellung beeinflussen, glaubte, meine Vorstellungen wären illusorisch, nicht machbar und überhaupt nicht zeitgemäß, ich selbst sei rückständig, weil ich diese Träume hegte. Sein eigenes Gemüse anbauen? Eigene Vorräte anlegen? Wer macht das heute schon noch. Gibt es doch alles frisch im Supermarkt zu kaufen.
Also schob ich meine Träume beiseite, versuchte mich einzugliedern, anzupassen. Trotzdem nahm ich unbewusst jede Möglichkeit wahr, wenigstens doch ein ganz klein wenig davon zu verwirklichen. Und waren es auch nur die Tomatenpflanze und ein paar Kräuter auf dem Balkon.
Vor ein paar Jahren ergab sich dann aber die Möglichkeit, unser Traumhaus auf dem Land zu kaufen – mit großem Grundstück. Mein Mann teilt zum Glück meine Leidenschaft für das Landleben.
Der Zeitpunkt hätte nicht passender sein können: Ich befand mich mitten in einer persönlichen Krise. Der Garten wurde zu einem Anker, zu einem der wenigen Dinge, die mir damals Halt gaben.
Ich glaube, es war kein Zufall, dass wir gerade zu diesem Zeitpunkt zusammenfanden. Während mir die „normale Welt“ bedrohlich erschien, konnte ich im Garten langsam wieder zu mir selbst finden.
Das Grundstück war in keinem guten Zustand. Die Obstbäume waren jahrelang nicht gepflegt worden, der ehemalige Kartoffelacker war überwuchert, und ein großer Teil der Fläche war festgetretene Erde, die lange als Pferdekoppel gedient hatte. Aber genau dieses langsame, schrittweise Gestalten half mir, wieder zu mir selbst zu finden.
Der Garten hat mir gezeigt, was es heißt, achtsam zu sein. Wie das geht? Indem ich den Garten mit offenen Sinnen wahrnehme.
Obwohl wir schon einige Jahre hier wohnen, entdecke ich immer wieder neue Pflanzen. Manche waren schon immer da, aber bisher verborgen. Andere wurden durch Wind oder Tiere herangetragen.
Früher habe ich beim Jäten alles ausgerissen, was nicht zur ursprünglichen Bepflanzung gehörte. Jetzt lerne ich immer mehr, die Keimlinge zu unterscheiden und entscheide dann bewusst, ob ich sie entferne oder ihnen einen Platz lasse. Das betrifft nicht nur Gemüse- und Blühpflanzen, sondern auch so manche Wildkräuter, die früher als „Unkraut“ galten.
Wenn ich über die Wiese gehe, sehe ich nicht mehr einfach nur Gras, sondern ein Zusammenspiel unzähliger Pflanzen. Beim Umschichten des Komposts staune ich jedes Mal über das Leben, das sich darin tummelt.
Auch jetzt im Winter liebe ich es achtsam durch den Garten zu gehen – besonders an Tagen, an denen die Sonne durch das trübe Grau bricht.
An manchen Stellen blühen schon die Schneeglöckchen, an anderen lassen sie noch auf sich warten. Ich könnte stundenlang damit zubringen, sie zu betrachten. Vor allem, wenn noch ein paar Tropfen darauf funkeln.
An einer Stelle lugte sogar schon eine kleine gelbe Krokusknospe hervor, leicht zu übersehen inmitten von Laub und den ersten grünen Blättern.
Zusammen mit meinem Mann betreibe ich ein Hobby, das man auch als besonders achtsam beschreiben kann. Wir sind unter die Imker gegangen und halten unsere eigenen Bienen im Garten. Wer dabei nicht achtsam ist, bekommt das schnell zu spüren – im wahrsten Sinne des Wortes. Doch wer sich ganz auf den Moment einlässt, erlebt eine wunderbare Verbindung mit diesen faszinierenden Lebewesen. Oder man genießt einfach nur das beruhigende Summen der Bienen beim „Bienenbaden“. Den Begriff hat mein Mann erfunden – angelehnt an das bekannt „Waldbaden“ – ich finde, das passt perfekt.
Noch ist es nicht so weit, aber bald fliegen sie wieder. Gestern haben sich bei dem sonnigen Wetter sogar schon einige am Stockeingang gezeigt.
Wer genau hinschaut, kann überall den nahenden Frühling erahnen. Auch die Fette Henne lässt die ersten Knospen hervorluken.
Diese kleinen, achtsamen Momente helfen mir auch, wenn die Sonne nicht scheint. Denn mal ehrlich – ein Schneeglöckchen ist auch bei trüben Wetter wunderschön, wenn man es achtsam betrachtet, oder?