Im Einklang leben

Achtsamkeitscoaching und psychologische Beratung

mit sich selbst

Sein Bestes geben

Sein Bestes geben: Das Bild zeigt einen Kompass, bei dem in jeder Richtung steht: Mein Bestes

Jeder sollte sein Bestes geben. Aber das Beste, was jeder geben kann, ist nicht bei jedem Menschen und zu jeder Zeit gleich. Das vergessen wir in unserer heutigen Hochleistungsgesellschaft gerne. Jeder wird angetrieben, mehr und schneller zu leisten. Für einige ist das jedoch zu viel. Sie gehen dabei sprichwörtlich vor die Hunde. Und das nicht, weil sie faul sind, sondern weil sie physisch oder psychisch nicht dazu in der Lage sind oder die Familie sie braucht. Aber es wird erwartet, dass sie uneingeschränkt mithalten. Und wenn sie das nicht schaffen, wird trotzdem Druck auf sie ausgeübt, anstatt anzuerkennen, dass ihre Grenzen überschritten werden. Ja, teilweise ist es nötig, Grenzen zu überschreiten, um sich selbst zu entwickeln. Aber das darf nicht auf Kosten der Gesundheit erfolgen.

Was hat das mit Achtsamkeit zu tun?

Achtsamkeit kann nicht nur helfen, unsere eigenen Grenzen zu erkennen und zu schützen. Sie kann uns auch helfen, eben diese Grenzen bei anderen zu erkennen. Und wenn wir diese Grenzen erkennen, können wir dabei helfen, sie entweder behutsam auszudehnen oder aber als zurzeit nicht überschreitbar anzuerkennen.

Und bei denen, die eigentlich mehr leisten könnten, aber „faul“ sind? Vielleicht haben auch sie ihre Grenzen, die sie gerade nicht überwinden können? Wäre es nicht sinnvoll, diese Grenzen herauszufinden und zu helfen, diese zu überwinden, anstatt sie als „faul“ abzustempeln? Vielleicht haben sie resigniert, weil sie tief in sich das Gefühl haben, dass ihr Bestes für die Gesellschaft eh nicht genug ist? Weil sie eben nicht so viel leisten können, wie andere?

Die "faule" junge Generation

Heutzutage wird oft davon geredet, dass die Jugend / die jungen Erwachsenen, nicht mehr belastungsfähig sind, faul sind, nicht widerstandsfähig. Es herrscht kein Verständnis dafür, wenn Personen in den Zwanzigern schon von Burn-Out oder depressiven Verstimmungen betroffen sind. Ihr Bestreben nach einer besseren Work-Life-Balance wird gerade von älteren Generationen häufig abgetan: „Die stellen sich an. Wir haben das doch früher auch geschafft.“ Aber sind wir doch einmal ehrlich. Die Zeiten früher waren andere. Die Welt ist in den letzten Jahrzehnten immer schneller und stressiger geworden. Es gibt viel mehr Ablenkungen, viel mehr Reize, die verarbeitet werden müssen. Viel mehr Möglichkeiten, die aber auch mehr Entscheidungen erfordern. Und dazu kommt der Druck, mit dem Strom schwimmen zu müssen. Das alles kostet Energie. Aber der Mensch als biologisches Wesen entwickelt sich nicht in der gleichen Geschwindigkeit. Evolutionäre Anpassung erfolgt nicht innerhalb weniger Jahre. Unser Körper hinkt evolutionär der technischen und sozialen Entwicklung hinterher.

unterschiedliche Sensibilität

Und es gibt auch Unterschiede in der Wahrnehmung dieser Reize. Manche kommen damit gut klar, können überflüssiges ausblenden und sich auf das fokussieren, was für sie in diesem Moment wichtig ist. Es gibt aber auch andere. Die, die z.B. hochsensibel sind. Für die es nicht so einfach ist, Reize auszublenden, für die es unheimlich viel Kraft kostet, das zu tun. Diese Menschen sind nicht schwach. Sie haben einfach eine andere Form der Wahrnehmung (neurologische Reizoffenheit, erhöhte emotionale Empathie) und es wäre schön, wenn dieses auch von der Gesellschaft akzeptiert, und nicht als Makel dargestellt, würde. In meinen Augen ist es unfair, dass von Personen, welche eben mehr wahrnehmen und mehr Energie brauchen, um wichtiges von unwichtigem zu trennen, mit der gleichen Messlatte bewertet werden, wie diejenigen, denen es leicht fällt. Die „weniger sensiblen“ haben doch dadurch einen wesentlichen Vorteil. (Gleiches gilt natürlich auch für Menschen mit einem körperlichen oder gesundheitlichen Handycap.)

Ich zähle mich selbst zu der Gruppe der Hochsensiblen und ich kann euch verraten, es ist wirklich anstrengend. Und es liegt nicht daran, dass ich nicht will. Ich fände es durchaus schöner, wenn ich manchmal nicht so von Reizen überrannt würde. Wenn ich nicht einen oder mehrere Tage Rückzug bräuchte, um meine Batterien wieder aufzuladen, wenn ich z.B. einen Kurztrip mit einer Reisegruppe gemacht habe oder nur an ein paar Tagen hintereinander an sozialen Aktivitäten in kleineren Gruppen teilgenommen habe. Aber ich brauche diese Zeit. Und mittlerweile habe ich meine Hochsensibilität akzeptiert und  nehme mir diese Zeit auch, wenn irgend möglich. Bin ich dadurch schwach und faul? Ich finde nicht. Denn gleichzeitig hilft mir die Hochsensibilität in anderen Bereichen sehr. Nämlich, wenn es darum geht, bestimmte Situationen intuitiv zu erfassen, mich in andere hineinzuversetzen. Und ich möchte nicht auf sie verzichten, denn sie macht einen großen Teil von mir aus. Auch, wenn es bedeutet, dass ich eben in manchen Bereichen nicht so belastbar bin, wie andere. Jeder Mensch ist anders, fühlt anders, hat andere körperliche Ressourcen.

Das bedeutet jetzt nicht, dass ich nicht versuche, meine Grenzen zu überwinden und mich weiter zu entwickeln. Deswegen setze ich mich ja auch solchen Situationen wie einer Gruppenreise oder sozialen Aktivitäten aus, aber es kostet mich eben mehr Kraft als andere. Und ich würde mir wünschen, dass das auch gesehen, akzeptiert und anerkannt würde, dass meine Grenzen vielleicht nie die Ausdehnung erreichen werden, wie bei vermeintlich „normalen“ Menschen, egal, wie ich mich anstrenge.

Wirklichkeit und Utopie

Mir ist natürlich klar, dass wir in einer wirtschaftlich orientierten Welt leben. Wir wollen soziale Sicherheit, Gesundheitsfürsorge, Altersvorsorge etc.. Aber muss das alles auf Druck basieren? Wenn wir wirklich eine Sozialgesellschaft sein wollen, wäre es dann nicht richtiger, dass die Stärkeren die Schwachen mittragen? Ganz ohne dabei auf sie herabzusehen, sondern einfach nur aus Mitmenschlichkeit? Würde das nicht vielleicht auch die Leistungsbereitschaft der vermeintlich Schwachen erhöhen, wenn sie mitbekommen, dass ihre Bemühungen, ihr Bestes zu geben auch gesehen würden? Wie häufig werden auch diejenigen aussortiert und lieber gleich aufs Abstellgleis geschoben, die zu wenig leisten können? Wäre es nicht sinnvoller, sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu fördern und auch das wenige, was sie leisten können, anzuerkennen und zu würdigen?

Und vielleicht kommen auch die vermeintlich Starken irgendwann in eine Situation, in der sie eben nicht so können, wie zuvor. Wünschen sie sich dann nicht auch Unterstützung? Und anders herum können ja auch die jetzt als schwach angesehenen, irgendwann eigene Stärken entwickeln und ihrerseits dann andere unterstützen.

Außerdem ist nicht jeder Mensch in allen seinen Aspekten schwach oder stark. Jeder hat seine speziellen Talente. Ist jemand, der in seinem Beruf „nur“ das für ihn mögliche gibt, in seiner Freizeit sich aber zusätzlich z.B. ehrenamtlich betätigt und dadurch andere unterstützt weniger wert als jemand, der beruflich erfolgreich auf der Karriereleiter nach oben klettert, sich aber, überspitzt gesagt, um die Bedürfnisse anderer nicht schert? Nur, weil er vielleicht weniger verdient und nicht so „wichtig“ für den Betrieb  ist?

Stellen wir uns doch einmal so eine Welt vor. Eine Welt, in der Arbeitgeber auch die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter Rücksicht nehmen. Die sie unterstützen, ihre Kräfte so zu organisieren, dass sie wirklich ihr Bestes geben können und nicht gezwungen sind, über ihre Möglichkeiten hinaus zu arbeiten, so dass sie letztendlich eben keine Kraft mehr haben, so gut zu sein, wie sie sein könnten? Muss Leistung immer kontrollierbar, messbar, vergleichbar sein?

Fazit

Lasst uns doch versuchen, gemeinsam eine Welt zu schaffen, in der jeder „nur“ sein Bestes geben muss, ohne dafür beurteilt zu werden, wie viel sein Bestes ist.